Unser Portraitprojekt „SeiDeinFreund“ https://seideinfreund.blog/ wurde vom
Mannheimer Morgen mit einem großartigen Artikel von Lea Seethaler vorgestellt,
und es gab einen Beitrag über unser Projekt bei SWR Aktuell https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/fotoprojekt-brustkrebs-mannheim-sei-dein-freund-100.html


Mannheimerin startet nach Brustkrebs-Erkrankung ein Foto-Projekt für Betroffene

Mitten in Mannheim bekommt Nicoletta Prevete die Diagnose Brustkrebs – am Telefon. Aus dem Schrecken entstand ein besonderes Foto-Projekt und Netzwerk für Betroffene

VON LEA SEETHALER

Mannheim. Mitten in der Mannheimer Innenstadt bricht Nicoletta Prevete zusammen, nachdem sie die Diagnose Brustkrebs am Telefon bekommt. Und das genau vor einem Friseursalon. Rund fünf Jahre später initiiert sie mit anderen Mannheimerinnen ein Projekt, das Mut geben soll und das Leben bejaht.

„Ich hab’ mich nie als Heldin oder Siegerin gefühlt. Ich weiß, dass Krebs ein ziemlich unfairer Gegner sein kann und dass es nicht ums Siegen oder Verlieren geht“, so Prevete. Es ist ein Satz, den sie über ihre Krankheit in einen Blog schreibt. Den startet sie, weil sie sich nach der Diagnose wie ein „ICE von 200km/h auf null heruntergebremst“ fühlte. Sie muss einfach verarbeiten. Irgendwie.

„Krebs?!? Das kriegen andere“

Und so schreibt sie all ihre Gedanken auf, die durch ihren Kopf schießen. Etwa: „Was jetzt? Ich stand doch mitten im Leben.“ Mit Kindern, mit Vollzeitjob als Journalistin. Und gerade das zweite Mal verheiratet. Sie sei so überzeugt von ihrer zweiten Chance im Leben gewesen. „Und jetzt: Krebs?!?“, „Krebs, das kriegen andere! Krebs bedeutet unendliches Leid. Krebs bedeutet Tod“, tönte es in ihrem Kopf.

Betroffene gesucht

  • Wer Brustkrebs hat oder hatte, die Therapie erfolgreich hinter sich bringen konnte oder noch mittendrin steckt, hat die Möglichkeit, sich bei „Sei (D)ein Freund“ porträtieren zu lassen, so das Team. „Wir freuen uns über eine jede Frau, die mitmacht. Trau Dich! Sei Teil der „SeiDeinFreund’-Community“, heißt es.
  • Wer Interesse hat, kann unter www.seideinfreund.blog das Kontaktformular ausfüllen oder sich bei Regine Maier im Atelier (M 4, 12) oder auf der Instagram-Seite im Netz, melden www.instagram.com seideinfreund_22

Genau diese Nicoletta Prevete steht vor einigen Tagen erneut in der Mannheimer Innenstadt. Im Atelier von Modedesignerin Regine Maier. Um sie herum schart sich eine Menge Frauen. Die Stimmung ist gut: Die Frauen scherzen und sind sehr freundschaftlich, wirken auf besondere Art vertraut. Hier zeigt sich nun: Aus Prevetes Blog ist zwischenzeitlich so viel mehr geworden. Nämlich eine Powerzelle von Frauen aus der Region – sie haben das Projekt „Sei (D)ein Freund“ gestartet.

Charity-Fotoausstellung geplant

Die Idee: Frauen mit oder nach Brustkrebs absolvieren ein ganz besonderes Fotoshooting. In Designerkleidung von Regine Maier und mit Makeup von Visagistin Kerstin Schmeing lassen sie sich von Fotografin Annette Mueck porträtieren. Ganz einfühlsam. Prevete macht mit den Betroffenen Interviews, fasst ihre Geschichte kurz zusammen. Am Ende entsteht daraus eine Charity-Fotoausstellung.

Die Frauen des „Sei (D)ein Freund“-Teams haben alle selbst ihre Erfahrung mit der Krankheit gemacht. Sie können daher mit großer Empathie mit den Betroffenen arbeiten, betont Prevete. Die Gruppe sucht jetzt weitere Frauen aus der Region, die Teil des Projekts werden wollen.

„Jetzt erst recht: Ich werde leben“

Der Name „Sei (D)ein Freund“ ist kein Zufall. „Wir erzählen Mutmacher-Geschichten, aber auch von traurigen Erlebnissen“, sagt das Team. Und will zugleich Vorurteilen den Kampf ansagen. „Wir machen Schluss mit den Horrorgeschichten. Und lassen Frauen zu Wort kommen, die ihre Therapie entweder bereits beendet haben oder noch mittendrin sind“, so die Truppe.

Am Ende entsteht daraus mehr als ein Foto – nämlich ein ganzes Netzwerk. Die „Sei (D)ein Freund“-Community. Domenica Vecchio aus Ludwigshafen etwa hat dem Team von einem Brief erzählt, den sie während ihrer Erkrankung bekommen hatte. Ein Bekannter habe sie in diesem Brief geradezu dem Tode geweiht und ihr schon halb sein Beileid ausgesprochen. „Das hat mich so wütend gemacht. So unendlich ärgerlich. Ich hab’ so richtig rumgeschrien, als ich den Brief gelesen habe“, erzählt sie. „Da dachte ich mir – so jetzt erst recht! Ich werde leben!“.

„Ich habe mich allein gefühlt“

„Ich hab mich damals ziemlich allein gefühlt“, sagt auch Fotografin Mueck, die ihr Studio in Mannheim hat, über ihre Zeit nach der Diagnose. Das war vor zehn Jahren. Heute ist sie 50. „Niemand kann nachvollziehen, wie die Situation ist und wie man sich fühlt, wenn man’s nicht selbst erlebt hat“, betont sie. Vor Kurzem erkrankt eine Freundin von ihr an Brustkrebs. Mueck fühlt sich erinnert. Gedanken kommen wieder hoch.

Vor dem Shooting: Visagistin Kerstin Schmeing stylt Isabel Lukas. © SEETHALER

Und ihr wird die Wichtigkeit von „Sei (D)ein Freund“ bewusst. „Dieses Projekt gibt mir die Gelegenheit, anderen Frauen Kraft und Mut zu geben. Und Erfahrungen weiterzugeben“, sagt sie. Nicoletta Prevete will derweil allen Betroffenen zurufen, die nach der Diagnose in das gleiche Gedankenkarussell wie sie verfallen: „Stopp!“. Sie sagt: „Es geht bei unserem Projekt darum, zu erkennen, dass das Leben wertvoll ist, und dass es gelebt werden will, auch wenn man eine Erkrankung hat, genau in dieser Zeit.“

Es sei wichtig, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Sich nach und während der Behandlungen um sich zu kümmern. Sich zu belohnen. So wie sie es tat. Mit „Bergfesten“, Reisen, Kurztrips, schönen Abenden mit Partner oder Freunden. „Nach meiner ersten Chemo lud mich eine Freundin zu einem Flamenco-Abend in ein kleines spanisches Restaurant ein“, so Prevete. „Ich brezelte mich auf, aß, trank und tanzte an dem Abend um mein Leben. Eines war mir nach meiner Diagnose klar: Ich lasse mir nicht anderthalb Jahre Lebenszeit durch eine gottverdammte Krankheit klauen!“ Es sei wie beim Bergsteigen. „Etappen fokussieren, nur nicht den Gipfel angucken“, sagt sie.

Der „Fels in der Brandung“

Auch Isabel Lukas ist in Regine Maiers Modeladen gekommen. Sie wird an diesem Tag geshootet. Die 51-Jährige kommt aus Sankt Leon-Rot und hat ihren Mann dabei. Warum, wird sich später zeigen. Sie sagt sichtlich bewegt: „Für mich ist das ein besonderes Anliegen. Weil wir alle leben.“ Regine Maier bringt ihr das Kleid, das sie später auf dem Foto tragen wird. Die Designerin hat mit dem hellen, cremefarbenen Nickistoff eine besondere Struktur erschaffen.

Diese soll an einen Steinbruch erinnern. In den Gesprächen hatte Lukas nämlich erzählt, dass ihr Mann währen der Krankheit ihr „Fels in der Brandung“ war. Jürgen Matthias Lukas sagt: „Meine Frau sagte, ich soll mitkommen. Sie sagte, du hast mich durch die schwere Zeit geführt. Nicht wissend, dass sie es eigentlich alles selbst gemacht hat“, betont er und seine Stimme wird leise.

Regine Maier bei der Anprobe an der Büste, Annette Mueck (r.) beäugt alles. © SEETHALER

Durch die Fels-Symbolik war schnell die Idee des Shootings in rauer Umgebung geboren. Fotografin Mueck hatte sofort einen Steinbruch in Bad Dürkheim im Sinn. Und Designerin Maier gleich einen Entwurf für ein Kleid im Kopf. Maier, die schon für Jil Sander und Betty Barclay arbeitete, sagt: „Es ist total wichtig, bei den Kleidern für die Shootings nicht einfach durch die Kollektion zu gehen und eins zu greifen.“

„Kleidung ist mein Medium“

Sondern, dass man sich zusammensetze „und dass wir uns die Geschichte dieser Krankheit, die der Protagonistin anhören.“ Der Steinbruch sei auch Symbol für das, was Isabel durchgemacht habe. „Kleidung ist mein Medium, ich als Kreative greife die optischen Strukturen des Steinbruchs auf“, sagt Maier und zeigt den Nickistoff mit feinen Rillen.

Beim Shooting muss indes auch der Look sitzen. Mit im Team ist deshalb Visagistin Kerstin Schmeing. „Als Makeup-Artist will ich Menschen glücklich machen“, sagt sie. „Oder ihnen mit ein paar kleinen Linien mehr Selbstbewusstsein geben.“ Sie wolle allen, die mitmachen, „nach einer schweren Zeit etwas ganz Besonderes schenken“.

Auch Prevete wurde schon geshootet. Sie wählte ein pompöses rotes Kleid und tanzte barfuß auf der Straße. Eleganz, Leben und Freiheit in einem quasi. „Als ich fertig war mit den Therapien haben meine Kinder mir einen Oscar überreicht: ,Mama die Heldin des Jahres 2018’ stand drauf.“ Heldin, keine Siegerin. Prevete hat zu Kampf-Metaphern eine klare Meinung: „Das impliziert ja immer, wenn man diesen ,Kampf’ nicht gewinnt, sich nicht genug angestrengt zu haben. Das ist Bullshit. Es geht um Lebensqualität. Immer. Egal, wie der ,Kampf‘ ausgeht“, sagt sie.

Die Mannheimer Macherinnen von „Sei (D)ein Freund“ sind echte Vorbilder!

Wer krank ist, fliegt aus der Leistungsgesellschaft. Bei Brustkrebs wird das deutlich, die Diagnose entweiblicht scheinbar. Der Norm als Frau genügen? Ohne Haare und Brüste? Ein Team stellt sich gegen Vorurteile. Gut so, findet Lea Seethaler

Mannheim. Man kann nicht gegen Krebs kämpfen! Aber gegen eine Gesellschaft, die Krankheiten tabuisiert. Und genau das passiert gerade in Mannheim. Mit dem großartigen Projekt „Sei (D)ein Freund“, das Brustkrebs-Betroffene gestartet haben.

Defizite im Umgang mit „Krankheit“

Was sagt es aus, dass Frauen so viel Kraft aufbringen, ein Fotoprojekt zu entwickeln, das Betroffene in ihrer Einsamkeit abholt? Es zeigt, dass wir große Defizite im Alltag, im Privat- und Berufsleben mit dem Umgang von Krankheit haben. Das verwundert nicht. In unserer schnelllebigen, digitalisierten Leistungs- und Optimierungsgesellschaft fällt jemand, der krank ist, einfach raus. Er oder sie wird an den Rand gedrängt. Wie ausgestoßen. Das klingt hart. Ist aber so.

„Schöner, jünger, gesünder?“

Bei der Krankheit Brustkrebs ist das noch einmal ganz besonders der Fall. Denn die Diagnose entweiblicht scheinbar. Der Norm als Frau genügen? Ohne Haare? Ohne Brüste? Während sich alle anderen im täglichen Wettstreit von „schöner, jünger, gesünder“ messen? Die Schilderungen der Frauen, die beim Projekt teilnehmen, bewegen. Denn immer wieder kommen dabei die Kontrastierungen zur „normalen, zur gesunden“ Welt auf.

Eine Chemoschwester mit „wunderschönen langen Haaren“ brachte etwa Mitinitiatorin Nicoletta Prevete zu ihrer ersten Therapie, „ohne mir überhaupt irgendwie beizustehen, Gefühle zu zeigen, eiskalt“, erzählt sie. Der Friseur, der ihr die Haare abrasieren soll „hatte nicht mal die Zöpfe der Vorgängerin entfernt“, sie sei „aus dem Laden gestürmt“, musste zu einem anderen wechseln.

Jeder verarbeitet anders

Wir alle müssen deshalb, wo es geht, versuchen, das Maximum an Empathie für Menschen in dieser Situation aufzubringen. Erstens. Und zweitens, müssen wir respektieren, wie Menschen mit der Diagnose umgehen. Der oder die eine möchte Rückzug, Ruhe. Andere aktives Verarbeiten, soziale Kontakte und Aktivität. Letzteres bietet das Mannheimer Projekt.

Die Kampfmetapher ist falsch

Aber dort passiert noch viel mehr. Wir können endlich deutlich hören, was Betroffene fühlen und brauchen. Ihre Lebensbejahung und Positivität spüren. Denn sie erzählen ihre Geschichten. Frei von Stigmata und Vorurteilen. Und zeigen uns klar: Wir müssen weg von der Kampfmetapher, von „ Du Kämpferin, du schaffst das“, hin zum „Wie fühlst du dich?“.

Ich hoffe, dass „Sei (D)ein Freund“ Vorbild wird. Für viele weitere Projekte. Denn durch das Projekt der Mannheimer kommt „Krankheit“ mitten ins Leben, in den Alltag. Dort wo sie hingehört. Dort, wo sie uns alle früher oder später einmal irgendwie betrifft.

Die Bilder der ersten Sei (D)ein Freund-Shootings

Ausdrucksstark und emotional: Im Steinbruch oder im Badesee – Frauen mit und nach Brustkrebs erzählen ihre Geschichte in Bilder.

„Ich hab‘ mich nie als Heldin oder Siegerin gefühlt. Ich weiß, dass Krebs ein ziemlich unfairer Gegner sein kann und, dass es nicht ums Siegen oder Verlieren geht.“ Nicoletta Prevete, 51, Mannheim

„Ich selbst bin nicht mehr die, die ich vor der Erkrankung war. Aber das ist auch gut so. Ich will gar nicht mehr die Alte sein.“ Domenica Vecchio, 49, Ludwigshafen

„Mein Kraftort während meiner Therapie war mein Lieblingsbadesee. Am Anfang meiner Erkrankung bin ich noch regelmäßig joggen gegangen. Als das aber nicht mehr ging, bin ich schwimmen gegangen. Auch während der Bestrahlung.

Das sollte ich nicht. Denn durch das Wasser sind die Einzeichnungen auf meinem Körper, die angezeigt haben, wo genau bestrahlt werden muss, immer wieder abgegangen.

Das hat das Team in der Strahlenpraxis nicht gerade erfreut. Die wollten sich natürlich die Arbeit sparen, jedes Mal aufs Neue das zu bestrahlende Areal neu aufzuzeichnen. Das war mir aber egal. Mir hat das Schwimmen so gutgetan.“

„Wie sollte ich solch einem Feind begegnen? Nach und nach gelangte ich zur Erkenntnis, dass ich stärker bin, als ich dachte.“ Isabel Lukas, 51, St. Leon-Rot